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Pastoralraum Muri AG und Umgebung
News Pastoralraum
News Vom 22. Januar 2025

Wohlwollen oder Misstrauen?

In einer Welt, die uns immer wieder an die Grenzen unserer Sicherheiten führt, sind Misstrauen und Wohlwollen wie zwei Pole, die unser Leben und unsere Beziehungen prägen. Misstrauen, so scheint es, entsteht fast von selbst – aus Erfahrungen der Verletzung, aus enttäuschten Erwartungen, aus der Angst vor dem, was sein könnte. Misstrauen ist ein Schutzmechanismus. Es bringt uns dazu, uns zurückzuziehen, Mauern zu errichten. Aber Vorsicht: Anhaltendes Misstrauen zermürbt. Es ist, als ob wir in einem ständigen Alarmzustand leben. Körper und Seele zahlen den Preis. Stress, Ängste, Isolation – und das Herz leidet mit, wortwörtlich. Es schadet nicht nur dem Misstrauenden selbst, sondern entfremdet auch die, die ihm begegnen.

Wohlwollen hingegen – was für ein leises, heilsames Geschenk. Es ist keine naive Blindheit gegenüber den Schattenseiten des Lebens, sondern ein bewusster Entscheid: Ich will das Gute sehen. Wohlwollen entspannt. Es macht weich. Es stärkt die Seele und den Körper. Studien belegen: Wer mit einer wohlwollenden Haltung durchs Leben geht, lebt gesünder. Der Blutdruck sinkt, das Immunsystem wird robuster. Aber das Entscheidende: Wohlwollen verbindet. Es schafft eine Atmosphäre, in der Menschen atmen und sich entfalten können – Gebende und Empfangende gleichermassen.

Die Bibel bringt es auf den Punkt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Markus 12,31). Wohlwollen ist Ausdruck dieser Liebe. Sie zeigt sich nicht in grossen, heroischen Taten, sondern in den kleinen Gesten des Alltags: ein freundliches Wort, ein aufmerksamer Blick, ein stilles Verstehen. Der Schweizer Theologe Adolf Schlatter hat das treffend „Entfeindungsliebe“ genannt. Es geht um Versöhnung – mit dem anderen, mit dem Leben, und mit sich selbst.

Die Kraft zu solchem Wohlwollen finden wir nicht im blinden Aktivismus. Sie wächst in der Stille, in der Kontemplation. „Werdet still und erkennt, dass ich Gott bin“ (Psalm 46,10). Stille ist mehr als die Abwesenheit von Lärm. Sie ist ein Raum, in dem wir uns selbst begegnen – mit allem, was wir sind: unseren Ängsten und unserem Potenzial zur Liebe. Stille öffnet uns für den Grund des Seins, der grösser ist als wir.

Dieser Weg ist ein Prozess, ein ständiges Üben. Wohlwollen muss nicht perfekt sein, nicht grossartig. Es genügt, wenn es echt ist. Oft sind es gerade die kleinen, unscheinbaren Gesten, die Brücken bauen.

Am Ende bleibt die Einladung, die wir uns selbst geben können: Raum schaffen für Vertrauen, für Menschlichkeit, für diese stille, heilsame Kraft des Wohlwollens. In der Stille und im Gebet können wir immer wieder neu in Berührung kommen mit der Liebe, die uns trägt. Und vielleicht spüren wir dann, wie das Wohlwollen des Himmels auch durch uns fliesst.

Diakon Karl Scholz

Pastoralraumleiter