Einheit in Verschiedenheit
«Die Vielfalt soll uns nicht trennen, sondern bereichern», heisst es oft, doch wie schwer ist das in der Realität umzusetzen. Unsere Welt scheint von Gegensätzen geprägt zu sein: Tradition und Wandel, Nah und Fern, Glauben und Zweifel, Du und Ich. Gerade in dieser Zeit – voller Unsicherheiten, Umbrüche und Brüche – kann uns das Motto der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen ein Licht sein: Einheit in Verschiedenheit. Was so schön klingt, fordert uns im Alltag jedoch heraus, denn Einheit ist kein Einheitsbrei, sondern ein lebendiges Miteinander von Menschen und Gruppen mit klarem und einzigartigem Profil.
Das Christentum selbst lebt in dieser Spannung. Da sind die vielen Konfessionen, Rituale und Kulturen – und doch ist Christus unser gemeinsames Fundament. «Damit alle eins seien» betet Jesus im Johannesevangelium. Es ist kein Ruf zur Gleichförmigkeit, sondern zur Verbundenheit im Herzen.
Vielleicht liegt genau hier der Schlüssel: in der Brücke des Herzens. Was trennt uns? Dogmen? Riten? Traditionen? Oft ja – und oft auch nicht. Die wahren Mauern entstehen nicht durch das Anderssein des anderen, sondern durch die Enge in uns selbst. Wer das Herz öffnet, findet Wege. Wer über den eigenen Kirchturm hinausblickt, sieht Horizonte.
Die Einheit beginnt nicht irgendwo – sie beginnt in mir selbst. «Versöhne dich mit dir selbst, und Himmel und Erde werden sich versöhnen», heisst in der christlichen Mystik seit Jahrhunderten. Einheit mit mir selbst heisst: mich annehmen, mit Licht und Schatten. Ich bin, was ich bin – und du bist, was du bist. Und dennoch sind wir eins in Gott. Gerade hier, im stillen Grund des Herzens, begegnen wir einander jenseits aller Unterschiede.
Einheit durch Vielfalt – das ist ein Geschenk, kein Produkt des Machens. Wie ein Chor, der in vielen Stimmen singt und doch harmonisch klingt. Oder wie ein Garten, in dem jeder Stein, jede Pflanze, jeder Wasserlauf seinen Platz hat und wo gerade in der Unterschiedlichkeit ein Bild der Schönheit entsteht.
Einheit heisst nicht, Unterschiede zu ignorieren, sondern sie wertzuschätzen. Ein reformierter Christ hat andere Worte, eine katholische Christin andere Riten, ein orthodoxer Bruder andere Bilder. Wir können davon lernen. Es sind Farben desselben Lichtes. Das Verbindende – nicht das Trennende – soll unseren Blick prägen.
In unseren Kirchenräumen, in unseren Gemeinschaften und Seelsorgeeinheiten stehen wir auch im Pastoralraum vor der Frage: Was eint uns in dieser Zeit? Was verbindet uns, wenn die Ressourcen knapper, die Zeit hektischer und die Welt unübersichtlicher wird? Die Antwort kann nur lauten: das Herz. Ein offenes Herz bleibt neugierig, hört zu und fragt nach: Was bewegt dich? Was lässt dich hoffen? Wo finden wir Heimat in der Gemeinschaft, ohne die Verschiedenheit auszuschliessen?
Fortsetzung auf Seite 2